Berlin wächst und wächst. Jedenfalls zählte die deutsche Hauptstadt am 30. Juni 2023 insgesamt 3.866.385 Einwohner – so viele wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Da wäre es sicher gut, wenn sich die Zahl der Wohnungen in der Stadt ähnlich entwickeln würde. Doch weit gefehlt. Obwohl aktuell 100.000 Wohnungen fehlen, schafft es der Berliner Senat nicht einmal, seine eigenen Neubau-Ziele zu erreichen. CDU und SPD hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, bis 2026 jährlich 20.000 neue Wohnungen zu bauen. Doch die landeseigenen Immobilienunternehmen haben von Januar bis Juni dieses Jahres sage und schreibe 624 neue Wohnungen fertiggestellt. Das spricht für sich und nicht gerade für den amtierenden Bausenator Christian Gaebler von der SPD.
Gleichermaßen spricht es für sich, dass das 2015 begonnene Pilotprojekt „Free Wifi Berlin“, das 2021 ziemlich abrupt gestoppt worden war, nun wohl endgültig beerdigt werden dürfte, und das ziemlich sang- und klanglos. Entsprechende Finanzmittel sind im Landhaushalt zumindest nicht vorgesehen, obwohl noch Ende 2021 der damalige Chef der Senatskanzlei vollmundig von einem „vollen Erfolg und wichtigen Signal für den Ausbau digitaler Infrastrukturen“ schwadroniert hatte. Und der hieß? Christian Gaebler.
Dafür, dass Berlin es wieder einmal zur kriminellsten Stadt Deutschlands gebracht hat und 2021 mit knapp 500.000 Straftaten (13.158 pro 100.000 Einwohner) die Statistik anführt, kann der Stadtentwicklungssenator indes nichts. Dafür ist nun mal der Innensenator verantwortlich, der seinerzeit Andreas Geisel hieß. Heute ist deren Parteifreundin Iris Spranger zuständig. Aber die hatte ja zuletzt genug damit zu tun, sich im Zickenkrieg mit ihrer Staatssekretärin in Stellung zu bringen und dabei nicht selbst unter die Parteiräder zu kommen. Was wiederum die Fahrraddiebe in der Stadt zu freuen scheint, die in diesem Jahr offenbar ziemlich ungestört bereits rund 20.000 Räder im Wert von etwa 20 Millionen Euro klauen konnten. Alles in allem: Berlin wie es leibt und lebt.
Zugegebenermaßen ist es auf der Bundesebene auch nicht viel besser. Auf die Führung, die das Wahlvolk bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bestellt und die er ja versprochen hatte, wartet Deutschland nach wie vor vergebens. Migration, Sicherheit, Wirtschaft, Energie, Klima, Infrastruktur, Bildung, Bürokratie – der Strauß an ungelösten Problemen ließe sich beliebig ergänzen und erklärt zu einem großen Teil auch die Ergebnisse der Landtagswahlen vom letzten Wochenende.
Selbst Hoffnungsträger wie SPD-Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius enttäuschen letztlich doch, wenn es darauf ankommt. Die tiefgreifende Strukturreform, die der Militärische Führungsrat, das höchste militärische Gremium der Bundeswehr, schon vor zwei Jahren mit dem Ziel „Weniger Stäbe – mehr Truppe“ empfohlen hatte, wird er nun doch nicht angehen.
Damit ist nicht nur für den Militärhistoriker Sönke Neitzel die Hoffnung begraben, „dass die Verschlankung der Bundeswehr ein weithin sichtbares Beispiel sein könnte, dass dieses Land reformfähig ist.“ Doch wie sollte ein Land auch reformfähig sein, in dem der Ruf nach der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich immer lauter wird, in dem beim Thema Work-Life-Balance die Zeichen eindeutig auf Life stehen, in dem sich unter dem Beifall der Bevölkerung die Staatsquote immer weiter erhöht und ein Bereich nach dem anderen in Richtung Planwirtschaft entwickelt, in dem 54 Prozent der Menschen weniger großes oder geringes Vertrauen in die Demokratie haben oder in dem nicht wenige, vor allem Jugendliche, der Demokratie einen „starken Führer“ bzw. „wohlwollenden Diktator“ vorziehen.
Damit niemand argwöhnt, ich hätte es hier auf die SPD abgesehen, will ich an dieser Stelle gerne einen gestandenen Sozialdemokraten zitieren, für den Tugenden wie Fleiß und Ehrlichkeit noch eine Bedeutung hatten. (Helmut) „Schmidt beklagt ferner“, so heißt es in einem Artikel in der Welt vom 11. Mai 2001, „den Verlust pädagogischen Einflusses von Kirchen, Universitäten und Schulen. ‚Natürlich kann man Moral und Tugenden lehren, jedoch werden sie wirksam nur durch Vorbild, Beispiel und Erziehung.‘ Der ‚gegenwärtig überwiegende Zeitgeist‘ sei negativ geprägt. Dies gelte insbesondere für Massenmedien und Werbung. ‚Auf fast allen Kanälen werden täglich Gewalt, Mord und Totschlag, Schießereien, Unfälle, Katastrophen und Leichen präsentiert.‘
Die Botschaften für die Nachwachsenden hießen, kritisiert Schmidt, ‚Genuss, Egoismus, Oberflächlichkeit und Permissivität‘. Die meisten jungen Menschen verbrächten einen Großteil ihrer Zeit mit Fernsehen, Video oder Internet. Viele Jugendliche hielten die ‚virtuellen‘ Welten für die Wirklichkeit. ‚Die wirkliche Welt jedoch, mit ihren schwer wiegenden Problemen, mit der Notwendigkeit, sich gegen alle anderen anständig und fair zu benehmen und vor allem: zu verantworten, was man tut oder was man lässt, spielt gegenwärtig eine zu kleine Rolle in der tatsächlichen Erziehung.'“
Wie aktuell sind diese Worte! Würden sie doch nur erhört.
Doch statt einmal inne zu halten und die notwendigen Schlüsse zu ziehen, geht der Irrsinn unvermindert weiter. Während der DFB in der Fußball-Jugend Tabula rasa macht und zunächst bei den 5- bis 11-Jährigen alle Wettbewerbe und dann ab 2024 auch die Bundesligen in der U17 und der U19 abschafft, wollen die Linken in den Schulen Noten und Hausaufgaben verbannen – natürlich bei Einführung einer Einheitsschule für alle. Auch wenn letztere Vorschläge keinerlei Chance auf Realisierung haben, so taucht die Idee doch immer wieder auf und wirkt auf den Zeitgeist.
Und der hat zuweilen mit gesundem Menschenverstand nicht viel zu tun, wie gerade an einem Beispiel besonders gut zu sehen ist. Denn das Motto „Sparen, koste es, was es wolle“, war noch nie ein Erfolg versprechender Ansatz. Doch beim Klimaschutz in Deutschland erlebt er eine ungeahnte Renaissance. Jedenfalls spielt das Thema Kosteneffizienz in diesem Zusammenhang keine Rolle. Vielmehr wird CO2 gespart, um jeden Preis. Dabei hat das Pariser Klimaschutzabkommen durchaus dem Umstand Rechnung getragen, dass es dem Klima ziemlich egal ist, wo CO2 eingespart wird. Artikel 6 sieht vor, dass man Klimaschutz nicht unbedingt im eigenen Land betreiben muss, sondern dies über bilaterale Abkommen und internationale Kooperationen auch dort machen kann, wo es einfacher, schneller und kostengünstiger funktioniert. Die Schweiz macht vor, dass es geht und realisiert von 2022 bis 2030 rund ein Drittel ihrer geplanten Emissionsverminderung im Ausland. Pragmatismus statt Ideologie.
Wenn wir in Deutschland doch nur schon so weit wären. Stattdessen werden insbesondere im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ideologische wie moralische Haltungsnoten vergeben und festgelegt, was politisch korrekt ist und was nicht. Ganz vorne mit dabei bei der Polit-Dressur sind Anne Will, Sandra Maischberger, Markus Lanz und Jan Böhmermann. Während im Falle von Lanz nur spekuliert wird, wie hoch seine Entlohnung beim ZDF ist, wissen wir jetzt zumindest bei den anderen drei Protagonisten, was ihre Sendungen kosten. Ganz vorne liegt wohl Will bei der ARD mit 7,5 Millionen Euro im Jahr, was immerhin 250.000 Euro pro Sendung ausmacht. Dagegen wirken die 4,7 Millionen Euro, die die Sendungen von Maischberger im Ersten im Jahr kosten, schon fast bescheiden, obwohl das auch noch mit 140.000 Euro pro Sendung zu Buche schlägt. Und Böhmermann? Dessen Honorar beim ZDF pro Jahr wächst von 651.000 Euro im Jahr 2023 auf 713.000 Euro in 2025. Wie bezeichnete er doch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: „Ein verfilzter Selbstbedienungsladen“, für dessen „Scheiße“ auch er 18,36 Euro zahlen müsse. Quod erat demonstrandum.
PS: Zu den barbarischen Angriffen der Hamas auf Israel und die Auswirkungen auch auf die deutsche Politik erscheint zeitnah eine Sonderausgabe des Berlin-Dossiers.
Kann ich so unterschreiben, sehr stark zusammengefasst!
VG Constantin