Berlin-Dossier, Nr. 23

So hatten sich die Wähler der CDU das sicherlich nicht vorgestellt. Ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz war in den Wahlkampf gezogen mit dem Versprechen, die Schuldenbremse mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Herausgekommen ist jetzt allerdings, wie zuletzt der aktuelle Haushaltsentwurf von SPD-Bundesfinanzminister Lars Klingbeil dokumentiert hat, eine Schuldenorgie sondergleichen, die für dieses Jahr eine Neuverschuldung in Höhe von 143 Milliarden Euro vorsieht, die bis 2029 auf etwa 186 Milliarden Euro anwachsen soll.

So viele Schulden hat bislang noch keine Bundesregierung gemacht, ausgenommen die 215 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme während der Corona-Pandemie. Oder etwas respektlos  ausgedrückt: Der SPD-Dompteur Klingbeil hat den CDU-Löwen Merz im wahrsten Sinne des Wortes dem staunenden Wahl-Publikum vorgeführt und aus ihm ein kuscheliges Kaminfell gemacht.

Doch statt die Problemlöcher Deutschlands mit Schulden zuzuschütten und Klientelpolitik zu betreiben – nichts anderes sind die Umsatzsteuererleichterung für Gastwirte, die Erhöhung der Pendlerpauschale oder die Wiedereinführung der Agradieselverbilligung -, wäre es so wichtig gewesen, dass die Koalition echte Steuer- und Wirtschaftsreformen sowie eine Konsolidierung der Staatsfinanzen eingeleitet hätte.

Doch damit ist auch bei dieser Bundesregierung nicht rechnen. Denn in der Politik insgesamt wirken die Schockwellen der Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder immer noch nach. Zwar genas Deutschland seinerzeit vom kranken Mann Europas wieder zum Musterschüler des Kontinents und die Wirtschaft blühte mit hohen Wachstumsraten in ungeahntem Maße auf. Doch für Schröder selbst kam das alles zu spät, sein Reformmut  und -eifer kosteten ihn Kopf und Kragen. Er verlor die Bundestagswahlen 2005 und wurde von Angela Merkel (CDU) beerbt, die sich während ihrer Regierungszeit mit fremden Federn schmücken konnte – und das auch ausgiebig tat.

Was aber noch schlimmer war: Als die Wirkung der Agenda 2010 wieder verpufft war und die Strukturprobleme Deutschlands offen zu Tage traten, brachten weder Merkel noch ihr Nachfolger Olaf Scholz (SPD) den Mut auf, die so dringend notwendigen Reformen in Angriff zu nehmen. Und so wird es wohl auch mit diesem Bundeskanzler sein, der nur mit einer bis in die Grundfeste gebeutelten SPD und damit nicht allzu risikofreudigen Partei regieren kann.

Für das Land und seine Menschen sind das – um es einmal ganz zurückhaltend zu formulieren – keine rosigen Aussichten. Durch die Gegenwart wird sich mit einer immer weiter zunehmenden Belastung der Zukunft gewurschtelt, der Handlungsspielraum künftiger Regierungen immer weiter eingeschränkt und unseren Kindern und Enkelkindern einen Schuldenberg aufgebürdet, der letztlich die allermeisten Aufstiegsträume wie Seifenblasen zerplatzen lassen wird.

Wenn das alles nicht so tieftraurig und ernüchternd wäre, könnte man dem ja mit Humor und beißender Ironie begegnen: „Gestern noch standen wir vor dem Abgrund, heute sind wir bereits einen gewaltigen Schritt weiter!“ So muss man leider konstatieren: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“

Von Detlef Untermann

Detlef Untermann ist ein deutscher Journalist und Kommunikationsmanager, der auf eine über 40-jährige Erfahrung im Medien- und PR-Bereich zurückblicken kann. Mehr unter "Über den Autor" auf dieser Webseite und auf Wikipedia.

Ein Kommentar

  1. Je differenzierter sich das Parteiensystem entwickelt, sei es veursacht durch die Vielfalt unterschiedlicher individueller Interessen oder verantwortungslose Demagogen, desto schwieriger wird die Bildung einer Regierung, die dynamisch, mutig, auch kompromisslos die notwendigen Maßnahmen durchzusetzt und dem Wahlvolk auch Opfer in dessen eigenem Interesse abverlangt.
    Die jetzige Regierung handelt auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Der Kompromiss ist der Erfolg.
    Um im Bild zu bleiben: Mit einem Schritt vor und zwei zurück entfernt man sich vom Abgrund…

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