Berlin-Dossier, Nr. 19

Das war eine denkwürdige Woche in der deutschen Politik, bei der einmal mehr deutlich wurde, dass SPD und Grüne völlig den Bezug zur Realität verloren haben. Aber auch Union und FDP haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Profitiert hat letztlich vor allem die AfD, die sich drei Wochen vor der Bundestagswahl ins Fäustchen lachen kann.

Was ist passiert? Am Mittwoch wurde im Deutschen Bundestag ein Antrag von CDU/CSU angenommen, der einen Fünf-Punkte-Plan zur Verschärfung der Migrationspolitik vorsieht. Die Mehrheit dafür kam unter anderem durch die Stimmen der AfD zustande, nachdem sich SPD und Grüne komplett verweigert hatten. Das Zustrombegrenzungsgesetz, das die Union dann am Freitag eingebrachte, scheiterte allerdings, weil die Reihen bei CDU/CSU und FDP nicht geschlossen waren. Soweit die nüchternen Fakten.

Zwischen Mittwoch und Freitag kochten indes die Emotionen hoch. Von einer eingerissenen „Brandmauer“ war die Rede. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich forderte gar eine Entschuldigung vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, weil die AfD am Mittwoch für den Antrag der Union gestimmt hatte. In der Debatte am Freitag erregte er sich, dass die „Lebensader der Demokratie“ beschädigt sei, und warf Merz vor, dass „Tor zur Hölle“ aufgestoßen zu haben.

Dabei ignoriert der SPD-Politiker geflissentlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung eben doch eine Verschärfung der Migrationspolitik haben will, und weiß sich dabei in guter Gesellschaft mit den Grünen. Beiden Parteien ging es nicht um die Sache, sondern nur um Wahlkampf. Denn ansonsten hätten sie ja für den Antrag und auch für das Gesetz stimmen können, wohlwissend, dass sich in der Migrationspolitik dringend etwas ändern muss.

Dabei verstehen beiden Parteien überhaupt nicht, dass sie die AfD mit ihren taktischen Spielchen in eine äußerst komfortable Lage bringen. Denn die kann künftig alles blockieren, was sie will. Sie braucht nur noch ankündigen, dass sie dafür ist – und schon ist selbst die sinnvollste Sache der Welt vergiftet. Mehr Einfluss kann man der AfD fast nicht einräumen.

Derweil demonstrieren Union und FDP, wie sie ihre Frontleute im Regen stehen lassen können. So kurz vor der Wahl scheint das allerdings keine probates Mittel zu sein, die Wähler von sich zu überzeugen. Einigkeit und Geschlossenheit sehen anders aus. Vor allem für die FDP könnte es eng werden, deren parlamentarische Existenz so wichtig ist. Die Reden von Wolfgang Kubicki und Christian Dürr haben dies eindrucksvoll unterstrichen. Und ohne eine liberale Kraft im Deutschen Bundestag ist nur noch eine Frage der Zeit, wann AfD oder BSW in einer Bundesregierung sitzen.

Dass die CDU nicht ganz geschlossen hinter ihrem Partei- und Fraktionsvorsitzenden gestanden hat, wird dieser sicherlich verkraften. Schwerer wiegt da schon die Intervention von Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich klar gegen den Kurs von Merz und dessen Inkaufnahme von AfD-Stimmen ausgesprochen hat. Dies ist allerdings umso bemerkenswerter, als die Migrationspolitik der CDU-Politikerin und deren Fortsetzung durch den sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz der Nährboden für die Stärke der AfD war. Ihr „Wir schaffen das!“ war wohl ihre größte Fehleinschätzung.

Von Detlef Untermann

Detlef Untermann ist ein deutscher Journalist und Kommunikationsmanager, der auf eine über 40-jährige Erfahrung im Medien- und PR-Bereich zurückblicken kann. Mehr unter "Über den Autor" auf dieser Webseite und auf Wikipedia.

3 Kommentare

  1. Der Beitrag verkennt offensichtlich, dass das von der CDU vorgelegte 5 Punkte-Programm zum Teil tatsächlich und rechtlich Unmögliches fordert und auch Meldungen konservativer Medien zufolge, Merz nicht zu Kompromissen bereit gewesen sein soll. Mit diesem Beschluss ist der notwendigen Neuausrichtung der Migrationspolitik ein Bärendienst erwiesen worden, denn die Ernüchterung kommt dann, wenn erkennbar wird, was von den Versprechungen übrig bleibt. Das Grundproblem gewaltätiger Straftäter, egal welcher Art, wird durch diese Forderungen ohnehin nicht gelöst. Aber darum ging es der CDU offensichtlich wohl nicht.

  2. Danke für die faktenbasierte Darstellung der turbulenten Parlamentswoche. CDU/CSU müssen sich vorwerfen lassen, dass sie die Niedertracht und Skrupellosigkeit von SPD und Grünen im Wahlkampf unterschätzt haben. Die Unterstellung, Friedrich Merz suche die Nähe zur AfD und würde sich notfalls mit deren Stimmen zum Kanzler wählen lassen, ist Brunnenvergiftung. Mit dieser Vernebelungstaktik wollen sie das eigene Unvermögen in der Migrationspolitik verschleiern und hoffen, dass Wählerinnen und Wähler darauf hereinfallen. Bei einem Teil der Medien ist das bereits gelungen.
    Richtig ist auch die Feststellung, die FDP gehöre in den Bundestag. Eine liberale, sachliche, unaufgeregte Partei ist unverzichtbar; auch um neben Linken und BSW als Zünglein an der Waage eine Rolle zu spielen, wenn’s nach der Wahl eng wird.

  3. Sie sprechen mir aus der Seele. Was da noch an nicht umzusetzenden Entscheidungen, durch Zustimmung der AFD, auf die Politik zukommt, ist noch nicht ansatzweise erkennbar. Armes Deutschland. 😢

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